Hier veröffentlichen wir einen Brief von Nanuk.
Berlin, 19.09.2025
Es gibt viel zu erzählen über Knast. Dem ständigen Eingesperrtsein für 22 Stunden am Tag auf 9m2, dem Mangel an Austausch mit anderen Menschen und der Überwachung aller sozialen Kontakte. Dies alles und so viel mehr macht Knast zu einer psychischen Ausnahmesituation, in der die Gefangenen meist allein sind mit all ihren Gefühlen.
Die ersten Tage ist der Kopf voll mit unzähligen Fragen und Gedanken zum Knast, den Mitgefangenen, den Schließern sowie zu Freunden und der Familie außerhalb der Mauern. Diese Ungewissheit und Unsicherheit kann schnell zu Wut und Angst werden. Es ist wichtig, von der Willkür und Gewalt zu erzählen, die feste Bestandteile im System des Knastes sind. Davon zeugen die erschütternden Folterberichte im Herbst 2024 aus der JVA Augsburg und kürzlich der Suizid eines minderjährigen Gefangenen in der Jugend JVA Ottweiler, nachdem er von Schließern misshandelt wurde. Immer noch werden zum großen Teil Menschen bestraft und eingesperrt, weil diese arm sind, keinen deutschen Pass besitzen und statt Hilfe zu erhalten mit psychischen Problemen, einfach weggesperrt werden. Aber genauso ist Knast auch ein Ort der Freundschaften, solidarischen Handlungen und Akte der Selbstwirkmacht.
Inzwischen bin ich über 11 Monate inhaftiert in der JVA Moabit und ich habe viele dieser Momente hier selbst erlebt. So gab es eine Sammelbeschwerde von 30 Gefangenen über einen Schließer, der uns immer wieder den Gang zum Kühlschrank verweigert hatte.
Die kollektiven Aktionen des Ungehorsams um den Stationsaufschluss zu erwirken, welcher sechsmal die Woche für Gefangene sein soll, aber nur ein-bis zweimal stattfindet. Oder die vielen Besuche und Gespräche an meiner verschlossenen Zellentür, wenn die anderen Gefangenen ihren Stationsaufschluss haben, der mir elf Monate verboten war.
An meinem ersten Tag im Knast war ich allein auf einem Hof, 20 mal 30 Meter umgeben von einer sechs Meter hohen Betonmauer und überragt von einem Wachturm. Meine Zellentür war voll farbiger Punkte und Schilder, die als Hinweise für die Schließer dienen. Ein grüner und schwarzer Punkt sowie rote Schilder mit Sicherheitsverfügung „Öffnen durch zwei Beamte“ sowie „Hand zu Hand“. Der erste Gefangene, den ich sah, war ein freundliches Gesicht des Hausarbeiters, der mir das Essen in die Zelle reichte.
Ich ging am nächsten Tag gemeinsam mit 40 anderen Gefangenen auf den Gemeinschaftshof. Unsicher stand ich abseits und der Hausarbeiter vom Vortag kam auf mich zu „Haben sie dich mal rausgelassen? Du hast ne ganze Ampel an der Tür“. Mit diesem ersten Gespräch nahm er mir meine Verunsicherung und fragte, ob ich etwas brauche. Am darauffolgenden Tag übergab er mir eine große Tüte mit Essen, Konserven, Kaffee, Duschbad und Süßigkeiten. Solche großen und kleinen solidarischen Gesten erlebe ich alltäglich im Knast. Oft bekommen neue Gefangene solche Pakte an den ersten Tagen. Besser gestellte Gefangene teilen manchmal ihre Kleidung, ihren Wocheneinkauf mit anderen, oder es wird Tabak auf dem Hof weitergegeben. Manchmal wurden Gefangene nur mit T-Shirt und Hose bekleidet in den Knast gebracht, ohne Socken, ohne Pullover und ohne Jacke. Meist unterstützen dann andere Gefangene diese neuen Insassen mit Kleidung. Bei vielen Gefangenen ist in der gemeinsamen Knastsituation ein soziales Bewusstsein weit verbreitet.
Im Dezember gab es eine größere Kontrolle in der JVA, unter anderem wurden alle Zellen mit Spürhunden durchsucht. Während diesen zwei Stunden mussten wir Gefangenen im Regen auf dem Hof warten und eine Regenjacke hatte kaum einer von uns.
Während wir auf dem Hof zusammen im Regen unsere Runden gingen, saßen die Schließer in einem kleinen beheizten Häuschen, um die Gefangenen zu beaufsichtigen. Neben dem Häuschen ist eine kleine überdachte Fläche, perfekt zum Schutz vor dem Regen. Leider ist diese Unterstellfläche nur für die Schließer und jeder Gefangene, der den Regenschutz nutzen möchte, wird sofort weggeschickt. Auch jetzt stellten sich immer wieder kleine Gruppen darunter, um dem Dauerregen zu entgehen. So wie wir immer nasser wurden, wurden die Schließer immer aggressiver beim Räumen der trockenen Stellfläche. Inzwischen waren wir alle nass bis auf die Haut und versuchten unter den Bäumen auf dem Hof Schutz vor dem Regen zu bekommen. Ein einzelner Gefangener hatte sich etwas abseits vom Hof unter einem kleinen Baum vor dem Regen versteckt. Dieser Baum stand zwei Meter neben dem Weg, der unseren Hof begrenzt, und außerhalb der für die Gefangenen erlaubten Fläche. Aus seinem trockenen Häuschen schrie der Schließer den Gefangenen mehrmals über den gesamten Hof an, er solle zurück auf den Weg und runter von der Rasenfläche. Doch der Gefangene blieb unter dem Baum im Trockenen stehen. Wütend kam der Schließer auf den Gefangenen zugestürmt und schrie ihn an „Bist du behindert, verstehst du mich nicht?!“ Ich stellte mich vor den Gefangenen und fuhr den Schließer an, er solle aufhören so mit dem Gefangenen zu reden. Es entstand ein Wortgefecht zwischen dem Schließer und mir. Ich erklärte, dass wir alle seit zwei Stunden durchnässt sind und frieren, auch dass uns der einzige trockene Platz unter dem Dach ohne Begründung verwehrt wird. Und dass es für die Schließer keinen Grund gibt Gefangene so anzuschreien oder zu beleidigen. Nebenbei wies ich den Schließer darauf hin, dass der Gefangene kein Deutsch versteht. Die durchnässten Gefangenen beobachteten uns, weitere Schließer kamen auf den Hof und standen um mich herum. Nach einigen Minuten wurde ich mit allen Gefangenen in das Gebäude gebracht. Dort mussten wir uns alle nebeneinander an einer Wand aufstellen und jedem einzelnen Gefangenen stand ein Schließer gegenüber zur Bewachung. Anschließend wurden alle Gefangenen in einem Extraraum gründlich am gesamten Körper kontrolliert. Später bedankten sich viele der Gefangenen bei mir. Sie waren sehr dankbar, dass ich mich vor sie gestellt und mich für andere eingesetzt hatte. Aber das erstaunlichste war, dass mich der Schließer, mit dem ich auf dem Hof und bei der Kontrolle laut diskutierte, am nächsten Tag ansprach. Er bedankte sich ehrlich bei mir dafür, dass ich ihn auf sein Fehlverhalten vehement hingewiesen habe. In den nächsten Wochen und Monaten sprachen wir immer mal wieder über diese Situation und er bedankte sich weitere Male.
In der JVA Moabit bin ich auf einer sogenannten Aufschlussstation. Dort soll statt einer dritten Hofstunde in der Theorie sechsmal in der Woche die Zelle für zwei Stunden geöffnet werden. Dann können Gefangene duschen, zum Kühlschrank oder einfach gemeinsam diese Zeit verbringen. In der Praxis findet dieser Aufschluss allerdings nur ein bis zweimal statt und in manchen Wochen auch gar nicht. Diese Unregelmäßigkeit ist eine Folge von Personalmangel. Dank meiner Sicherheitsverfügung des Justizsenates bin ich generell vom Aufschluss ausgeschlossen. Immer wieder schreiben Gefangene an die Anstaltsleitung, sie beschweren sich über das viele Ausfallen und die Gesamtsituation des Aufschlusses. Aber es gibt auch Protest um diese Situation zu verbessern und darauf aufmerksam zu machen. An einem Tag begannen mehrere Gefangene auf ihrer Station zur Aufschlusszeit gegen ihre Türen zu schlagen, für 20 bis 30 Sekunden war der Lärm im ganzen Block zu hören. Im Anschluss fragten sie über den Notruf der Zelle ob es Aufschluss gibt. Die Antwort der Schließer war „Wir kümmern uns“. Als nach 15 Minuten nichts mehr geschehen war, schlugen die Gefangenen erneut gegen ihre Zellentüren. Dieses Mal noch mehr und noch lauter, und alle 15 Minuten wiederholt, bis fast die gesamte Station beteiligt war. Der Lärm war auch im gesamten Haus zu hören, berichteten Gefangene der anderen Stationen am nächsten Tag. Nach der letzten Aktion der Gefangenen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, reagierten die Schließer. Normalerweise öffnen sie in solchen Fällen zu viert die Zellentür und machen dem Gefangenen eine Ansage mit der Drohung, ihn in den „Bunker“ zu bringen. Aber bei einer ganzen Station ist das so nicht möglich, die Schließer stellten für mehrere Stunden den Strom auf der gesamten Station ab. Jetzt gingen viele Gefangene an ihre Zellenfenster, im Nachbarhaus hatte ein anderer Gefangener seinen CD Player ans Fenster gestellt. Er beschallte den halben Knast mit „Tupac“ und immer mehr machten sich an ihren Zellenfenstern laut bemerkbar. Überall waren nun Gefangene zu sehen, zu hören, und es wurde Feuer und Papier in den Hof geworfen.
Wie wir erwartet hatten wurden in den nächsten Tagen viele Gefangene von unserer Station verlegt, um uns zu trennen. Mit dieser Reaktion der JVA hatten wir gerechnet, aber sagten uns, dass sich dieser Moment und die Erfahrung gelohnt hatte. Die Gefangenen meiner Station bedankten sich für die Unterstützung und Solidarität, obwohl ich nie beim Aufschluss teilnehmen konnte.
Oft haben Gefangene im Knast das Gefühl allem ausgeliefert zu sein, den Launen der Schließer und der undurchsichtigen Bürokratie. Widerworte werden nicht akzeptiert und Anträge werden selten beantwortet oder verschwinden auch schon mal. Oft sind von solcher Willkür marginalisierte Gefangene besonders oft betroffen, da sie schlecht Deutsch sprechen und verstehen oder als Drogenkonsumenten mit psychischen Ausnahmesituationen in Haft vermehrt zu kämpfen haben. Umso wichtiger ist es untereinander solidarisch zu sein, unabhängig vom sozialen Status hier im Knast. Es gibt immer wieder die kleinen Momente des Widerstands und der Selbstermächtigung, es ist wichtig diese zu suchen und auch zu erleben. Gerade mit dem Wissen und dem allgegenwärtigen Gefühl, strukturell am System Knast nicht viel ändern zu können, Solidarität ist wichtig auf allen Seiten der Mauer.
Nanuk